Empathische Systeme
Empathic Systems
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Yves Netzhammer
Empathische Systeme
14.06.2019 — 08.09.2019
Kuratorin: Franziska Nori
Fotos: Norbert Miguletz. Copyright Frankfurter Kunstverein
Der Frankfurter Kunstverein hat Yves Netzhammer, Theo Jansen und Takayuki Todo eingeladen, eine Auswahl ihrer Werke in Einzelpräsentationen zu zeigen, für die der gemeinsame Titel „Empathische Systeme“ eine thematische Überkategorie setzt.
Der Frankfurter Kunstverein präsentiert eine Überblicksschau mit Werken des schweizerischen Künstlers Yves Netzhammer, die Arbeiten aus den vergangenen zehn Jahren seines Schaffens präsentiert. Netzhammer steht mit seinem künstlerischen Oeuvre für die Auseinandersetzung mit zentralen Fragen des Menschseins im digitalen Zeitalter.
Netzhammers Arbeit hat bereits in den frühen 2000er Jahren zentrale Fragen in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Recherche gestellt, die nach den Bruchstellen fahndet, die der Mensch im Umgang mit Welt heute empfindet. Die Ausstellung wird eine gezielte Auswahl wesentlicher Werke Netzhammers Formenrepertoire zeigen, mit dem Fokus auf Fragestellungen zur Natur menschlicher Emotionen und existentieller Erfahrungen.
Netzhammers Arbeit ist nicht an realistischen Repräsentationen von Welt interessiert, sondern sucht vielmehr die Essenz menschlichen Handelns anhand von Bildstudien zu analysieren. Die Protagonisten in Netzhammers Arbeiten sind auf die wesentlichen Merkmale der menschlichen Figur reduziert und erinnern an Modellpuppen und anatomische Modelle. Die reduzierten Bildwelten muten anfänglich wie Versuchsanordnungen an. Er transformiert seine Figuren in die Körperlosigkeit digital generierter Zeichnungen. Seine Figuren kommen ohne individuelle Züge einer Persönlichkeit aus und stehen somit wie archetypische Menschenfiguren für das Wesen des Seins.
Die Arbeiten verzichten auf Wort und Text. Sie erzählen in Szenen, die in einer Aneinanderreihung von Fragmenten über die Dauer der Animationen einen Bogen zu spannen wissen. Netzhammer übersetzt Gefühlslandschaften in eine Bildsprache, die die fragile Trennlinie zwischen Innen- und Außenwelt ausloten. Seine Figuren handeln in wiederkehrenden Sequenzen, die in der Abfolge körperlicher Wiederholungen Sinn erzeugen. Das Bildrepertoire ist von Netzhammer bewusst aufs Essentielle reduziert: er arbeitet in Primärfarben, mit stilisierten Formen, angedeuteten, leeren Räume und Abläufe, in denen die zeitliche Dimension diffus bleibt.
Der Künstler verzichtet bei seinen Figuren bewusst auf individuelle Züge, sodass es nie um Portraits einer Person, sondern um allgemeine Wesensmerkmale des Menschlichen geht. Die Figuren haben keine Gesichter, keine Augen und keine Mimik, sie sprechen nicht. Es sind nicht deren Mienen, über die der Betrachter Gefühlsregung zuordnen könnte. Es sind die Handlungen, die physischen Ausformulierungen in der Geste, die präzise Beschreibungen leiblich ausgeführter Zeichen innerer Zustände darstellen, die eine unmittelbare Erkennbarkeit der Intentionen und Gefühlslandschaften herstellt.
Die Kraft von Netzhammers Arbeiten entsteht aus der Übertragung von Bedeutungszusammenhängen. Er überträgt Studien und Beobachtungen des Realen in neue Gefühlszusammenhänge, die er in Bildsynthesen transferiert. Aus sich wiederholenden Aktionen, Elementen und Sinnfragmenten schafft er seine individuelle Bildsprache, durch die seine Figuren handeln. So entsteht eine Meta-Semantik körperlicher Ausdrucksweisen. Die Deutung körperlicher Bewegung ist eine Urform zwischenmenschlicher Kommunikation, die mit einer archaischen Unmittelbarkeit das Wesentliche des Menschen ausmacht. Auf diese Leiblichkeit bauen die Figuren Netzhammers auf. Er animiert sie am Computer, er baut die Handlungen und Bewegungen synthetisch nach, er studiert und erkennt Sequenzen der motorischen Ausdruckweise und konstruiert damit seine Humanoiden.
Netzhammers Arbeiten sprechen den Betrachter über diese körperliche Ebene an. Die empathische Beziehung zu den animierten Figuren basiert auf einer Spiegelung körperlicher Empfindung, es entsteht ein Wiedererkennen von Gesten, die die Figuren andeuten, verändert ausformulieren und mit der wir Emotionen verbinden, auch wenn diese meist in einer Ambivalenz verweilen.
Der Körper der Figuren ist ein rekurrierendes Material, das in Netzhammers Arbeiten eine zentrale Rolle einnimmt. Die Grenze von Innen und Außen ist verletzlich und offen. Die glatten digitalen Oberflächen der Körper werden geöffnet und es entsteht ein Austausch von Farben und Dingen, die metaphorische Assoziationen erzeugen. Die Bilder bewegen sich immer entlang einer minimalen Grenze, bei der Brutalität und Sanftheit sich durchdringen und durch Details ins Gegenteil umkehren.
Die Animationsfilme Netzhammers werden immer um eine akustische Ebene erweitert. Der Klangkünstler Bernd Schurer ist der kongeniale Gegenpart Netzhammers, dem es mit minimalen Klanglandschaften gelingt, die Bilder in der emotionalen Ebene des Betrachters zu verankern. In Analogie zur Bildsprache Netzhammers alterniert Schurer ebenfalls zwischen Sanftheit und schneidenden Klängen, Stille und akustischen Sequenzen, die teils melodisch, teils als Noise Atmosphären die Bildwelten erweitern.
Die Arbeiten Netzhammers sprechen die Fähigkeit empathischen Empfindens im Betrachter an. Empathie ist ein Empfinden der temporären Auflösung der Grenze zwischen dem Ich und dem Anderen. Ein Zustand des Sich-Einfühlens in die inneren Welten eines Wesens, das nicht das Selbst ist und dessen existentielle Bedingung für einen Augenblick zur eigenen werden kann. Im Akt des stillen Beobachtens kann dieses empathische Gefühl gelingen, eine verändernde Selbstwahrnehmung durch das emotionale Mitempfinden, eine Resonanzfähigkeit mit dem Gegenüber. Netzhammer formt und verschmilzt ein Bild ins nächste, sodass neue autonome Welten entstehen, neue Sinnzusammenhänge lesbar werden. Er zeichnet universelle und allgemeingültige Metaphern existentiellen Empfindens. Wer sich auf sie einlässt, kann in diese neue digitale und symbolische Realität eintreten und dort etwas wiedererkennen oder finden, das im Verborgenen der eigenen Existenz schläft und von der Zerbrechlichkeit menschlichen Seins erzählt.
Die Ausstellung versammelt eine Auswahl Netzhammers digitaler Animationsfilme aus unterschiedlichen Schaffensphasen. Darunter befindet sich eine seiner zentralen Arbeiten „Die Subjektivierung der Wiederholung“. Sie war Teil der umfassenden Rauminstallation auf der Venedig Biennale 2007, mit der er den Schweizer Pavillon gestaltet hat. In der 42-minütigen Arbeit finden sich alle grundlegenden künstlerischen Merkmale Netzhammers wieder, die sein Werk charakterisieren:
ineinander gleitende Motive, die sich wiederholen, sich verändern, in Fragmenten wieder erscheinen, um sich mit anderen zu neuen Sinnkonstellationen zu verbinden; die Überführung von diffusen Emotionen in das Bildliche auf der Suche nach neuartigen Empfindungsdimensionen.
Seine neueste Fünf-Kanal-Installation „Biografische Versprecher“ überführt die digitalen Bildwelten der Computeranimationen in eine räumliche Erweiterung. Die projizierten Bilder reflektieren sich in zahlreichen transparenten Oberflächen und erzeugen ein visuelles Echo ihrer eigenen Spiegelungen. Elemente aus den humanoiden Figuren und deren Handeln überträgt Netzhammer in die materielle Welt kinetischer Skulpturen, die im Raum agieren. Objektassemblagen, die an Körperteile von Puppen erinnern, an Arme und Beine, werden durch mechanische Konstruktionen auf den Oberflächen ihrer skulpturalen Sockel bewegt, gezerrt und geschoben. Kompressoren steuern den Antrieb. Es entstehen scharrende Geräusche, ruckartige Bewegungen, die über die Dauer der Zeit die zarten Objekten abnutzen und langsam zerstören. Es handelt sich um Unikate, die der Künstler für die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein aufgreift und für den spezifischen Ort überarbeitet.
Ein weiterer wichtiger Fokus der Ausstellung liegt auf der Präsentation Netzhammers umfassenden grafischen Oeuvres. Netzhammer zeichnet ausschließlich am Computer. Für den Frankfurter Kunstverein trifft der Künstler eine Auswahl an Outline Zeichnungen, die das Prinzip der Reduktion und seines bildhaften Denkens auf konzentrierte Art und Weise deutlich macht. Ausgehend von den zweidimensionalen Zeichnungen zeigt die Werkauswahl Netzhammers Erweiterungen in die Dreidimensionalität der zeichnerischen Linie. Diese führt Netzhammer in „Vororte der Körper“ in die Materialität schwarzer Metalldrähte über, die als Outlines Dinge aus der Leere des Raums herausarbeiten, die somit wie eine Spur auf ihre Abwesenheit im Raum verweisen. Diesen Schritt von der Zeichnung zum Objekt erweitert Netzhammer in eine dritte Werkgruppe, bei der nun die Materialität sich im Raum behauptet: „Adressen unmöglicher Orte“. Ein Stuhl steht im Akt des Zerbrechens, in der Bewegung des Falls zeitlich fixiert und verbindet sich mit roten Fäden an die Wand. Diese sind wie rote Linien eines perspektivischen Schlagschattens. Ihre Enden treffen wie Punkte auf die Darstellung einer kontrollierten Farbexplosion.
Empathic Systems
14.06.2019 — 08.09.2019
The Frankfurter Kunstverein has invited Yves Netzhammer, Theo Jansen, and Takayuki Todo to present a selection of their works in solo shows, under the shared thematic title “Empathic Systems.”
The Frankfurter Kunstverein presents a survey of works by Swiss artist Yves Netzhammer from the last ten years. Netzhammer’s artistic oeuvre represents the examination of the central issues of being human in the digital age.
By the early 2000s, Netzhammer had already placed key questions at the center of his artistic research that sought the breaking points people encounter in dealing with the world today. The exhibition will showcase a specific selection of significant works from Netzhammer’s formal repertoire, with a focus on questions concerning the nature of human emotions and existential experiences.
Netzhammer’s work is not interested in realistic representations of the world, but rather seeks to analyze the essence of human action on the basis of image studies. The protagonists of Netzhammer’s works are reduced to the essential features of the human figure and are reminiscent of mannequins and anatomical models. The reduced visual worlds initially seem like experimental arrangements. He transforms his characters into the immaterial of digitally generated drawings. His figures forgo individual personality traits and thus, as archetypal human figures, represent the essence of existence.
The works dispense with words and text, they tell stories in scenes that skillfully trace an arc by stringing together fragments over the duration of the animations. Netzhammer translates emotional landscapes into a visual language that explores the fragile dividing line between the inner and outer world. His figures act in recurring sequences that create meaning in the succession of physical repetitions. Netzhammer deliberately reduces the visual repertoire to the essential: he works in primary colors with stylized forms, implied empty spaces, and processes in which the temporal dimension remains vague.
The artist deliberately refrains from giving his figures any individual traits, so that it is never about the portrait of a person, but rather general human characteristics. The figures have no faces, no eyes, and no facial expressions, they do not speak. It is not their expressions to which the observer could attribute emotion; it is their actions and gesticular physical formulations. Performed physically, these become precise depictions of indications of inner states, producing an immediate recognition of intentions and emotional landscapes.
The power of Netzhammer’s works arises from the transfer of meaning. He translates studies and observations of the real into new emotional contexts, rendered in image compositions. He creates his own individual visual language through repetitive actions, elements, and fragments of meaning that his characters act out. This results in a meta-semantics of physical expression. The interpretation of physical movement is a prototype of interpersonal communication that constitutes the human essence with an archaic immediacy. Netzhammer’s figures build on this corporeality. He animates them on the computer, synthetically recreates actions and movements, studies and recognizes sequences of motor-based expression, and uses them to construct his humanoids.
Netzhammer’s works address the viewer on this physical level. The empathic relationship with the animated characters is based on a reflection of physical sensation. This results in the viewer’s recognition of the figures’ gestures. We associate emotions with these gestures, despite their being formulated differently, and their ambivalence.
The body of the figures is a recurrent material that plays a central role in Netzhammer’s work. The boundary between interior and exterior is vulnerable and open. The smooth digital surfaces of the bodies are opened up. They produce an exchange of colors, things that create metaphorical associations. The images traverse a fine border where brutality and gentleness permeate and transpose each other in the details of the work.
Netzhammer’s animated films are always amplified by an acoustic level. Sound artist Bernd Schurer is Netzhammer’s kindred counterpart, who, with minimalistic soundscapes, manages to anchor the pictures for the viewer on an emotional level. In an analogy to Netzhammer’s visual worlds, Schurer also alternates between gentleness and cutting sounds, silence and acoustic sequences, which enhance the atmosphere of the visual worlds, sometimes melodically, sometimes as noise.
Netzhammer’s works address the viewer’s capacity for empathy. Empathy is a feeling of the temporary dissolution of the boundary between the self and others. A state of empathizing with the inner worlds of a being that is not oneself, and whose existential condition can momentarily become one’s own. In the act of silent observation, this empathic feeling can achieve a changing self-perception through emotional compassion, a capacity for resonance with the other person. Netzhammer forms and merges one image into the next, creating new autonomous worlds and making new contexts legible. He draws general and universal metaphors of existential perception. Anyone who engages with them can enter into this new digital and symbolic reality, and recognize or find something lying dormant in the secrecy of their own existence that tells of the fragility of human existence.
The exhibition brings together a selection of Netzhammer’s digitally animated films from various creative periods. Among them is one of his main works, “Die Subjektivierung der Wiederholung“ (The Subjectivisation of Repetition). It was part of the comprehensive installation that he designed for the Swiss Pavilion at the 2007 Venice Biennale. All of Netzhammer’s fundamental artistic features that characterize his work can be found in the 42-minute piece: interlocking motifs that repeat themselves, change, and reappear in fragments in order to merge and form new constellations of meaning, and visually render diffuse emotions in the search for new dimensions of sensibility.
His latest five-channel work “Biografische Versprecher” (Biographical Slips) transfers the digital imagery of computer animations into a spatial expansion. The projected images are reflected in numerous transparent surfaces and create a visual echo of their own reflections. Netzhammer translates elements of the humanoid figures and their actions into the material world of kinetic sculptures that operate in the space. Assemblages of objects, reminiscent of puppets’ body parts, arms and legs, are moved, pulled, and pushed by mechanical constructions on the surfaces of their sculptural bases. Compressors control the drive. This results in scraping noises, jerky movements that wear out the delicate objects over time and slowly destroy them. These are unique pieces that the artist has revived up for the exhibition at the Frankfurter Kunstverein and reworked for this specific location.
Another important focus of the exhibition is the presentation of Netzhammer’s comprehensive graphic oeuvre. Netzhammer draws exclusively on the computer. For the Frankfurter Kunstverein, the artist has chosen a selection of outline drawings that clearly demonstrate the principle of reduction and pictorial thinking in a concentrated manner. Starting from the two-dimensional drawings, the selection of works shows Netzhammer’s expansion into the three-dimensionality of the graphic line. Netzhammer transposes this onto the “Vororte der Körper” (Peripheries of Bodies) in the materiality of black metal wires. As outlines, these wires carve into the emptiness of the space. Like a trace, they point to absence in space. Netzhammer extends this step from drawing to object in a third group of works in which materiality now asserts itself in the space: “Adressen unmöglicher Orte“ (Adresses of Impossible Places). A chair is suspended in the moment of breaking, temporally fixed in the movement of falling, connected to the wall by red threads. These are like the red lines of a perspective drop shadow. Their ends meet like points on the depiction of a controlled color explosion.