Die Subjektivierung der Wiederholung, Projekt B
The subjectivisation of repetition, project B
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Yves Netzhammer
Die Subjektivierung der Wiederholung
Projekt B
2007, Installation in der Karlskirche Kassel
Offizielles Rahmenprogramm der documenta XII
37.37 Minuten
Soundtrack: Bernd Schurer
Yves Netzhammer
The subjectivisation of repetition,
project B
2007, Installation at the Karlskirche Kassel
during the documenta XII
37.37 minutes
Soundtrack: Bernd Schurer
Im Rahmen der documenta 12 wurde Teil B des Projekts Die Subjektivierung der Wiederholung als eine keilförmige Installation in den Innenraum der Kasseler Karlskirche als eine keilförmige Installation integriert. Auf den Spiegelwänden sind drei Halbkugeln verschiedener Größen angebracht, auf die die Filme projiziert werden. Reliefartige Blattstrukturen aus Holz bedecken den Boden, und in der Spitze des Keils läuft eine Imitation eines Baumstammes senkrecht nach oben. Steht der Betrachter an der richtigen Stelle, ergänzen sich die reflektierten Bilder durch die aufeinander zulaufenden Spiegelwände zu einer 360-Grad-Ansicht des Raums. Der Bild- und Inszenierungsraum steht in Korrespondenz zum Umgebungsraum und erfährt durch den künstlerischen Eingriff eine Neuinterpretation. Diese führt für den Betrachter – Verstärkt durch die Soundkomposition von Bernd Schurer – gelangt der Betrachter zu einer gänzlich neuen Sinn- und Raumerfahrung in der traditionell bilderlosen und streng hugenottischen Architektur der Karlskirche zu einer gänzlich neuen Raumerfahrung.
Subversion bedeutet hier Umkehr des Fühlens, Denkens und Handelns im Sinn einer Ästhetik der Migration. Sie mutet den Betrachtern zu, sich in bodenlosen, entwurzelten Bildwelten zu sehen. Diese Bildwelten entfalten sich mit Zeichen, die keine Heimat in einer verlässlichen Ordnung finden. Sie finden keine Bleibe in einer Erzählung und keine Ruhe im Einklang mit der Welt. Es sind Zeichen, die die Wanderschaft von Bedeutung und Sinnlosigkeit auf sich nehmen und die Wahrnehmung von Singularität und Totalität umkehren.
Auf den ersten Blick erscheint die Installation als Spiegelkabinett, in dem optisch Räume in einem abgetrennten Raum vervielfältigt werden. Die Bildarmut und strenge Linienführung der hugenottischen Karlskirche thematisiert Netzhammer damit diskret und zugleich intensiv. So lässt er zwar die Wände der Kirche unverändert, konfrontiert sie aber mit dem besonderen Raum der Installation und der Soundkomposition von Bernd Schurer. Äusserlich ist die Installation ein bilderloser gebauter Keil, innerlich eine pulsierende Bildwelt.
Tritt man in die Installation, dann vermehren sich die Räume und damit auch die Ansichten der Betrachter. Sie werden wiederholt auf den Seitenwänden gespiegelt und in neue Beziehungen zu Bildern des Künstlers gesetzt. Man kann sagen, dass die Betrachter der Ordnung der bewegten Spiegelbilder unterworfen werden, denn das Wort «Subjekt» bedeutet ursprünglich: unter etwas geworfen zu sein. Die Spiegelbilder der Betrachter geraten so unter eine sich ändernde Gesellschaft mit Lebewesen und Dingen. Das sind Käfige, Delphine, Elefanten, Chamäleons, verstümmelte Körper, Krücken, Transporter, Panzer und Hütten … Die Dinge stehen in gelenkten Beziehungen und werden durch Berührungen von Gliedmassen, Instrumenten und Architekturen, durch Funktionen und ähnliche Bewegungsabläufe gesteuert.
Die Ähnlichkeit ihres langsamen Vordringens macht es zum Beispiel plausibel, dass Elefanten mit Panzern in einer Reihe marschieren. Die Form eines Rasierblatts legt nahe, dass ein Chamäleon zerschnitten wird und Blut verliert. Ein Gitternetz formt plausibel die Sprünge von Delphinen. Die Bewegungsabläufe haben sich in den Bildern von ihrem ursprünglichen Kontext befreit. Sie verknüpfen nun Dinge, Tiere und Menschen miteinander, ohne dass dies durch einen Bauplan der Natur, eine Geschichte oder einen allgemeinen Verstand reguliert wird. Der Künstler organisiert hier eine Migration der Relationen, die ihren gewohnten Zusammenhang verlassen haben.
In der «Subjektivierung der Wiederholung Projekt B» projizieren drei Beamer bewegte Bilder auf die Spiegelwände. Manchmal erzittern diese Spiegel. Sie werden subtil in Bewegung versetzt durch den Sound der Installation. Die Lautsprecher sind so in die Wände eingelassen, dass die Spiegel in unterschiedlichen Graden vibrieren können. Zuweilen ist die Vibration unmerklich, dann aber geraten die Spiegel wieder kräftig in Schwingung. Sie ähneln manchmal glatten Wasseroberflächen, die durch fallende Blätter erregt werden, dann aber immer wieder auch unruhigen Wellenformationen, so als hätte etwas eine Oberfläche grob durchstossen.
Sanfte und abrupte Berührungen zwischen seinen Figuren und den Abbildern der Welt führt Netzhammer vor und knüpft damit an eine Frage an, die er in seinem reichen Werk, in Zeichnungen, Prints, Wandbildern, Filmen und Installationen, beharrlich stellt. Es ist die Frage, wie Berührung möglich ist. Netzhammer entwickelt sie bildnerisch zu einer prinzipiellen Frage nach der Möglichkeit von Beziehung überhaupt. Der Künstler gibt sich nicht damit zufrieden, etwas zu erzählen oder schlicht Unstimmigkeiten zwischen Mensch, Tier, Ding und Welt aufzuweisen, sondern er konzentriert sich auf die jeweilig einzelne Oberfläche, die sich zur Berührung anbietet. Das ist zum Beispiel der Beinstumpf eines Rollstuhlfahrers oder die Ränder eines Ahornblattes, die mit Kontinenten in Verbindung geraten, oder Schatten, die helle Räume streifen.
Der Künstler bezeichnet die Kasseler Installation als Projekt B. Projekt A wird zeitgleich im Schweizer Pavillon während der 52. Internationalen Kunstbiennale Venedig vom 10. Juni bis 21. November 2007 gezeigt. Die Kasseler Ausstellung im Begleitprogramm zur documenta 12 besticht durch die Auseinandersetzung mit dem spezifischen Kirchenraum. Er wird architektonisch und akustisch reflektiert als Problem der Integration. Netzhammer strebt keine Vermittlung zwischen Kunst und Kirchenraum an. Das ist nicht als schlichte Absetzungsbewegung zu deuten, sondern als klare Stellungnahme zum Verhältnis von bestehender Struktur zu einem neuen Teil, das sich wie die Installation als Fremdkörper in der Kirche einnistet.
Ein Migrant wie Netzhammer kann seine Zeichen nicht als Interpretationen oder Bebilderungen von etwas anbieten. Es widerspricht der Poetik und Ästhetik der Migranten, Bedeutungen zu behausen und sich in Sinngebungen zu verwurzeln. So sprechen Jacques Derrida und Massimo Cacciari von der Migration der Zeichen und so formuliert es der philosophische Dichter der Migration, Edmond Jabès, im «Kleinen unverdächtigen Buch der Subversion». Nicht nur, dass Netzhammer keine Integration anstrebt, er weicht auch dem Skandalon der Wanderschaft nicht aus. Sie ist unbequem. Deshalb drängt sich das Kunstwerk immer wieder akustisch auf. Der Sound im Innenraum des Keils dringt in den Kirchenraum hinein. Er macht sich jenseits liturgischer Regelmässigkeit dann und wann massiv bemerkbar und das ist nicht vorhersehbar.
Die Installation spielt wiederholt auf die Hoffnung an, dass eine Ordnung in der Welt sein könnte, die Berührungen und Beziehungen verständlich macht. Denn zuweilen scheinen sich die Spiegelbilder der Betrachter mit den Schöpfungen Netzhammers stimmig zu spiegeln. Das ist immer wieder möglich, aber auch immer wieder löst sich der Eindruck von Stimmigkeit auf und plötzlich fallen die Gegenstände mit fragmentarisch scharfen Umrissen auf die Betrachter nieder. Hier wird die Katastrophe, in der das Verhältnis zwischen Subjekt und Welt zusammenbricht, erfahrbar als Chance zur Auseinandersetzung und eventuell auch als Bedingung für mögliche Beziehungen.
Nils Röller