Yves Netzhammer
Adressen unmöglicher Orte
2009, Video- und Objektinstallation
Soundtrack Bernd Schurer
Kunsthalle Winterthur
Kurator: Oliver Kielmayer
In Yves Netzhammers mehrteiliger Installation Adressen unmöglicher Orte (2009/2012) ist ein Animationsvideo integriert, auf das sich die Objekte der Installation beziehen, indem sie einzelne Aspekte daraus aufgreifen und sie in eine begehbare Szenografie einbetten. Die digitale Animation wird räumlich vergegenwärtigt. Im Zuge dieser Transformation kommt es zu merkwürdigen Verkehrungen: Während die Menschen im Film durch die nüchtern-synthetische Computerästhetik zu neutralen Figuren mit gliederpuppenartigem Körper versachlicht und dabei zugleich auf die Ebene des Allgemeingültigen gehoben werden, erscheinen die Gegenstände der Installation im wahrsten Sinne des Wortes animiert. Sie zeigen Deformationen, eigenartige – man möchte fast sagen: ganz individuelle – Abweichungen von der üblichen Dingordnung. Durch den Prozess der Übersetzung in eine theatralische Installation wird der Betrachter mit in ein Geschehen einbezogen, das ebenso existentiell bedrohlich wie surreal-rätselhaft wirkt – er taucht ein in einen «mentalen Bühnenraum» (Konrad Tobler 2009), in dem Fiktion und Realität, Filmraum und architektonischer Raum verschmelzen. In einem eigenartigen Dazwischen, einem Zwischenreich auch zwischen Leben und Tod, geraten Menschen und Dinge in einen Dialog. Die Dinge scheinen beseelt zu sein und können wie die Figuren im Film zu Stellvertretern werden für die Nöte und Wünsche, Ängste und Sehnsüchte des Menschen, konkret auch die des Betrachters.
Die Orte, an denen es zu solchen Überschneidungen und Wechselwirkungen zwischen der imaginären Welt des Films mit der realen des Betrachters kommt, müssen erst noch gefunden werden, sie haben keine, allenfalls unbeständige, Adressen. Netzhammer erfindet sie: Während der Film mit existenziellen Themen wie Grausamkeit und Mord, Einsamkeit, Krankheit und Tod konfrontiert und an das Mitgefühl des Betrachters appelliert, bewegt sich dieser durch ein Interieur von Möbelkörpern, die durch eine ähnliche Verletzlichkeit und Fragilität gezeichnet sind wie die filmischen Akteure, vielfach fragmentiert und wieder verarztet, beladen mit zerbrechlichem Porzellan oder eingezwängt unter meterhohem Mauerwerk – auch sie haben ihre Bürde zu tragen. Schnüre halten hybride Möbelkreationen in der Schwebe und verbinden, einer filigraner Raumzeichnung gleich, ihre Körper miteinander und mit den Wänden des umgebenden Raums. Wie die Filmfiguren keine stabile Identität haben, wie ihre Körper mitunter brutal durchbohrt und zerlegt werden, um dann wie in einem düsteren Alptraum neu zusammengesetzt zu werden, haben auch die Möbel Wandlungen durchlaufen und sich zu neuen Konstellationen gefügt. Das Äußere, Körperliche gibt keinen dauerhaften Halt, wird vielmehr zur Bühne für das Innere, die bei der Mutation von einem Seinszustand in einen anderen auch verwaist zurückbleiben kann. Die Dinge gewinnen scheinbar ebenso ein Eigenleben wie die Geister oder Seelen, die sich als unscharfe Schatten von den Körpern der Filmfiguren lösen. Der Betrachter gelangt in den Sog faszinierender Parallelwelten, die sich im Spannungsfeld zwischen technoider Ästhetik und haunted house-Assoziationen, atmosphärischer Dichte und befremdlicher Brüche entfalten. Bilder und Begriffe geraten in Fluss. «Und wie im Traum», so Konrad Tobler 2009, «versucht man, die Dinge, die man sieht, sogleich zu erklären, während sie sich schon wieder verändert und entzogen haben.»