Der Anteil Körper am Selbst
Der Anteil Körper am Selbst
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Kunst und Bau-Projekt, 2021
Kantonsspital Winterthur
Mitarbeit:
_ Projektleiter Kt. Zürich: Giuseppe Di Girolamo
_ Architekten: Butscher Architekten
_ Projektion: Videocompany
_ Wandoberfläche: Kläusler Acrilstein
_ Sandstrahlarbeiten: Atelier Weidmann
Gerade im Spitalbereich ist man sich heute der Bedeutung von Kunst und ihrer Wirkung auf Menschen, ihr Wohlbefinden und ihre Genesung, sehr bewusst. Eine 2019 von der WHO publizierte Metastudie«What is the evidence on the role of the arts in improving health and well-being?» belegt erstmals in einem breiten und international recherchierten Umfeld den konkreten Einfluss von Kunst auf ein heilungsförderndes Umfeld sowie deren Impulse auf die Heilung Einzelner.
Dort knüpft auch die Arbeit vom multimedial tätigen Künstler Yves Netzhammer (*1970) an. Im Rahmen eines Studienauftrags für den Ersatzneubau des Kantonsspitals Winterthur realisierte er 2021 das Kunst am Bau-Projekt «Der Anteil Körper am Selbst», bei dem er in der für ihn typischen Arbeitsweise verschiedene Dimensionen seines künstlerischen Schaffens installativ miteinander verknüpfte.
Das mehrteilige Werk führt von einer durch eine Schablonenprojektion überlagerten, gravierten Zeichnung im Eingangsbereich weiter zum Bettenhaus, wo auf vier Stockwerken über vier Glasfronten zweifarbige Sandstrahlzeichnungen das Innen mit dem Aussen verbinden.
Netzhammers Werk ist von einem ständigen Fluss von Formen, Materialien und Ausdruckweisen geprägt, immer auf dem schmalen Grat zwischen Illusion und Realität oszillierend. Auch hier thematisiert er mit hoher Empfindsamkeit die körperlichen Befindlichkeiten der Menschen in einem Spital sowie das Thema des Körpers und der Körpergefühle. In seiner figurativen Bildsprache lotet er die Grenzen des Körpers aus und stellt Fragen zu Lust, Schmerz, Verletzung und Heilung. Seine Herangehensweise zeugt von viel Respekt gegenüber der Nutzerschaft, die sich oft in einer komplexen persönlichen Situation befindet und dadurch auf Bilder wesentlich empfindsamer als ein Museumspublikum reagiert.
Die Bespielung der mächtigen Wand im Eingangsbereich des Ersatzneubaus zeugt von Netzhammers subtiler und feinfühliger Umsetzung, thematisch sinnstiftend aber nicht plakativ oder aufdringlich. Über den «Anteil Körper am Selbst» kann bei der Betrachtung der Motive reflektiert werden, die Figuren und Formen sprechen aber auch ganz für sich, in dem sie sich in die Architektur einverleiben.
Die Zeichnungen wurden mit einer CNC-Maschine tief in die sechs Acrylstein-Platten eingraviert, welche wie Puzzleteile unauffällig zu einem Ganzen gefügt sind. Linien überziehen die gesamte Frontfläche, verlassen diese und führen über die Seitenwände in den hinteren Teil der Spitalkapelle. Über einen Beamer werden während 33.22 Minuten farbige Schablonen auf die gestaltete Wand projiziert. Die Überblendungen generieren immer wieder neue Assoziationen: Figuren erscheinen, gehen in Tierformen über und verklingen in abstrakten Figurationen. Ein zauberhaftes Spiel von teils blassen, teils starken Farben, von einzelnen Motiven und Körperteilen, die in ein ganzes Wandbild gezoomt werden um dann in eine nächste Sequenz überzugehen. Wir folgen keiner narrativen Erzählung, nichtsdestotrotz ist eine Entwicklung im Laufe der Projektionsdauer nachvollziehbar. Als Betrachterin suche ich die Wandfläche nach Figuren ab und imaginiere mir eine Geschichte dazu. Hier ein Herz, da ein Fuss, ein gehörnter Kopf – aber doch nicht so realistisch, dass nicht ein ganz anderes Motiv damit assoziiert werden könnte. Die Schablonen wirken abstrahierend, so dass die Suche nach neuen Formen unerschöpflich ist. Wir werden verführt, viele mögliche Bildformen zu entdecken und so auf verspielte Weise den Körper zu thematisieren.
Bei der Arbeit im Bettenhaus stellt Netzhammer einen Bezug zu den einzelnen Abteilungen her. Poetische, empathische und zugleich humoristische Figuren und Motive, mit denen er spielerisch und ohne illustrativ zu sein über die Schwere nachdenkt. Zwischen Abstraktion und Figuration angesiedelt, bleiben die Werke für die Betrachtenden lebendig und werden auch über längere Zeit nicht langweilig.
Realisiert wurden die Werke, indem Netzhammer von den digitalisierten Zeichnungen auf Folien applizierte Matrizen erstellte, welche auf die Glasfronten geklebt wurden. Mit dem Sandstrahler wurde rund um die (abgeklebten) Linien der Zeichnungen die Oberfläche der Glasfront mattiert. Das Glas wurde aufgeraut und undurchsichtig, bleibt jedoch transluzent, eine wichtige Geste für diesen sensiblen Ort der Warteräume. Die verbliebenen transparenten Linien verbinden sich zu Motiven des Spitalalltags. Jeder einzelnen Spitalabteilung auf den vier Stockwerken wurde in den jeweiligen Zeichnungen eine Farbe zugeordnet. Die Zeichnungen der Glasfronten führen die Handschrift der Eingangswand weiter.
Yves Netzhammer hat mit «Der Anteil Körper am Selbst» im Kantonsspital Winterthur eine sowohl spielerische als auch tiefgründige Arbeit realisiert. Er hat sich umsichtig und mit viel Empathie der Aufgabe gestellt, für die Nutzerschaft, Patientinnen und Patienten, Pflegende, Ärzteschaft und Publikum eine anregende, erzählerische Bildwelt zu schaffen, welche die Betrachtenden auch zum Schmunzeln bringen kann, Neugierde weckt und zum Nachdenken über den Körper anregt.
Caroline Morand
Friederike Schmid