Die Pflege der Argumente
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Die Pflege der Argumente
10.3.-14.4.2018
Galerie Mark Müller, Zürich
Yves Netzhammers (*1970, lebt und arbeitet in Zürich) Arbeiten entstehen auf der Basis einer computergenierten Bildwelt, die der Künstler in wechselnde Kontexte einbringt. Personal, Kulisse und Dekor dieses eigentlichen Kosmos’ sind in höchstem Masse wiedererkennbar. Sie verbinden Zeichnung, Skulptur und Animation zu raumgreifenden Installationen, aber auch die einzelnen Arbeiten zu einem sich seit bald zwei Jahrzehnten stetig verdichtenden Werkkörper. Eine Konstante bildet dabei die distanzierte Künstlichkeit der sonderbar spröden Kreaturen und unendlichen Landschaften. Waren vormals die einzelnen Medien häufig auch individuell anzutreffen, so zeichnen sich die Arbeiten jüngeren Datums durch deren fast konsequente Verschränkung aus. Besonders an Bedeutung gewonnen hat die Anbindung an den realen Raum in Form von ortsspezifischen, bisweilen monumentalen Installationen.
Für die Präsentation in der Galerie Mark Müller dreht Yves Netzhammer dieses Grössenverhältnis jedoch gänzlich um und widmet sich dem Thema der Miniatur. Auf Sockeln stehen drei Objekte aus Chromstahl, die stilisierte Bäume in Kleinform verkörpern – ein Obstbaum, ein Strauch und schliesslich ein gedrungenes Gewächs mit ausladender Krone, das am Stärksten an handelsübliche Bonsais, der Miniatur-Pflanze schlechthin, erinnert. Die Rohre zeichnen nicht nur Linien im Raum, sondern werfen mittels der unmittelbar daneben platzierten Videoprojektion Schatten an die gegenüberliegende Wand. In bester konstruktivistischer Manier erzeugen diese eine geometrische Segmentierung, zwischen der sich das Geschehen dreier Animationsfilme abspielt – alles en miniature, versteht sich. Bäume und Pflanzen kommen in Netzhammers Arbeiten immer wieder vor. Wird jedoch etwa in der sich im Kunstmuseum Bern befindlichen Installation Die Subjektivierung der Wiederholung, Projekt B (2007) der Baum durch Spiegelung ins Mehrdimensionale, ja Universelle gesteigert, suggeriert hier das verkleinerte Baumschema eher eine Versuchsanordnung oder Vorführsituation. Es rahmt die drei inhaltlich unterschiedlich gelagerten Filme und liefert der jeweiligen Erzählung eine – wenn man so will – biologisch-botanische Syntax.
Als Hochformat angelegt dreht sich der Film (12:50 min., Loop), der durch den mit Früchten behangenen Obstbaum projiziert wird, um Begriffe wie Körper und Körperlichkeit. Hauptprotagonist ist die geschlechts- und gesichtslose Gliederfigur, mit der Netzhammer seit eh und je arbeitet. Sie bewegt sich, aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt, durch das geometrische Geäst, das der gedrungene Baum auf die Wand zeichnet. Drangsaliert durch ein Loch im Rücken geschieht der Figur vielerlei Unbehagliches, sie vervielfacht sich, um sodann in ihre Teile zu zerfallen; Körper verschmelzen und zerbrechen. Zwischen dem intakten und versehrten Körper, zwischen Sexualität und Gewalt, zwischen Leben und Tod ist es nur ein schmaler Grad. Der knorrige Bonsai wiederum kreiert eine querformatige Gitterstruktur, die in der Eingangsszene der dazugehörigen Animation von zwei Affen als Klettergerüst genutzt wirft. In diesem Film (10:20 min., Loop) geht es um das Verhältnis von Tier und Mensch. Dem schwarzen Affen ist die weisse menschliche Figur gegenübergestellt. Von der Übernahme anthropomorpher Züge bis hin zur gegenseitigen Verschmelzung sind verschiedene Grade der Interaktion zwischen diesen Wesen illustriert. Kritisch hinterfragt wird dabei die Macht- und Kontrollfunktion des Menschen gegenüber dem minderen, stereotypisch schwarzen Tiers. Im Schatten des dürren Strauchs schliesslich spielt sich der dritte Film (13:50 min., Loop) ab, der das Thema der Verwandlung aufgreift. Ein Luxusapartment aus dem Wohnmagazin verwandelt sich samt seinen Bewohnern und, wie es nur in der Animation möglich ist, ohne einem einzigen Schnitt in ein schäbiges Massenlager; die Grossaufnahme mehrerer Schnecken in intakter Natur hingegen geht nahtlos in eine Atomanlage über. Mutationen sind zentral für Netzhammers Schaffen. Geprägt von einer Mehrdeutigkeit der Zeichen ist keines seiner Bilder stabil; Formen, Gesten und Motive befinden sich in steter Überlagerung und Transformation oder dann in faktischer Bewegung. Das andauernde Mutieren der Motive zeichnet ein brüchiges Bild von Wirklichkeit und steht damit für die Anti-Kohärenz der Dinge, die Netzhammer in seinen Arbeiten zur Sprache bringen will.
Die verkleinerten Bäume als Projektionshilfe lassen sich ferner in Bezug auf die Frage der Proportion diskutieren. Sie drängt sich gleich mehrfach auf: in den Animationen selbst zwischen den durch das Geäst skizzierten Feldern, zwischen Objekt und Animation und schliesslich im Verhältnis der einzelnen Anordnungen zum Ausstellungsraum. Durch Wandel der gewohnten Grössenverhältnisse manifestieren sich Bedeutungsverschiebungen, wie das Exempel des Bonsais sehr schön darlegt. Die aus Asien überlieferte, mittlerweile weitverbreitete Form der Gartenkunst ist auf die Beschränkung des Pflanzenwuchs angelegt. Durch aufwändige artifizielle Massnahmen wird die Gestalt der Pflanze kontrolliert. Gemäss chinesischer Tradition sollte wer einen Bonsai nach allen Regeln der Kunst erfolgreich aufgezogen hat, keine Sorge um das Wohl seiner Seele haben müssen. Diese kulturell bedeutsame Praxis findet Widerklang bei Netzhammer, der sich fernöstlichem Gedankengut durchaus zugezogen fühlt. Vordergründig ist es die zeitintensive Bildherstellung im Medium der digitalen Animation, die grosse Akribie und Sorgfalt erfordert. Aber auch die Art und Weise, wie Netzhammer Narrationen kultiviert, von einer Grundidee aus behutsam aufzieht, präzise anreichert und weitsichtig weiterentwickelt, hat viel mit Achtsamkeit und Pflege zu tun – was auch im Titel der Ausstellung anklingt. Die Pflege der Argumente betreibt Netzhammer nicht zuletzt durch die formale und inhaltliche Kontinuität seiner Arbeiten, in denen Fragestellungen sozialer, ethischer und politischer Natur als Subtext immer wieder von neuem aufgenommen und mal spielerisch-charmant, dann aber auch abgründig und ernsthaft zur Diskussion gestellt werden.
Yasmin Afschar