Die Subjektivierung der Wiederholung, Project A
The subjectivisation of repetition,
project A
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Yves Netzhammer
Die Subjektivierung der Wiederholung,
Projekt A
Soundtrack: Bernd Schurer
Biennale Venedig, 2007, Schweizer Pavillon
Erzählebene und Bilderraum
Yves Netzhammer konzipiert für den Schweizer Pavillon der Biennale Venedig eine Rauminstallation, in der sich Zeichnung, Architektur, Videoprojektion und Tonspur durchdringen. Mit einem architektonisch-skulpturalen Eingriff in den 1951 von Bruno Giacometti erstellten Pavillon verschränkt er dessen südöstlichen Gebäudeteil mit seinem Umfeld und verlagert das Verhältnis von innen und aussen: Eine schräge Ebene steigt von der hinteren Raumkante des Skulpturensaals auf, überdeckt das Gartenareal und ragt über die Gartenmauer hinaus zur angrenzenden Viale Harald Szeemann. Im Gartenbereich bildet die Schräge ein Dach, auf dessen Unterseite Netzhammer mit Schablonentechnik grossflächige Bildarbeiten anbringt. Die Deckenbemalung, in die vier Videoprojektionen eingepasst sind, ist in Teilen von ausserhalb des Pavillons einsehbar. Im Inneren des Skulpturensaals bildet die eingezogene Ebene ein Zwischengeschoss, das von zwei keilförmigen Rampen erschlossen wird. Sein Boden ist um 18 Grad geneigt und schärft die Wahrnehmung für Raumhülle und Eigenkörperlichkeit. Eine Bodenmalerei nimmt die Motivik der Deckenmalerei des Gartenbereichs auf und der an die Wand projizierte Videofilm entwickelt die neu geschaffene räumliche Situation in seinen Figurationen weiter. Das Bilder-Ensemble wird durchlaufen von einer 14-kanaligen, räumlich ausgelegten Tonspur, die der Musiker Bernd Schurer ausführt. Die eingefügte «Erzählebene» strukturiert den Pavillon anhand einer räumlichen Leseerfahrung. Mit ihren dynamischen Linienzeichnungen und ihren Punktierungen durch Zeichen- und Ton-Attraktoren vervielfacht sie die Erfahrung von Raum und Zeit und erschliesst ein differenziertes Verhältnis von Bild, Bewegung und Erzählung. Die Möglichkeit eines unmöglichen Berührens Yves Netzhammer nimmt mit seinem Ausstellungsbeitrag für die Biennale Venedig Bezug auf den Kontext einer nach Nationen organisierten Leistungsschau. Die Durchdringung und Öffnung der Pavillonarchitektur geht einher mit dem Unterfangen, die visuelle Sprache für dasjenige zu öffnen, was durch nationale und kulturelle Grenzen ausgeschlossen ist. In seinen Bildarbeiten und Filmen für Venedig reibt Netzhammer dementsprechend Stereotype «des Fremden» und unkonventionelle, neue Ansichten des Eigenen aneinander. «Das Fremde» tritt auf in Form von verdrängtem psychischem Gehalt, ungesehenem Körperinnerem, Schattenkörpern, unterschiedlichen Hautfarben und Zeichen kultureller Andersartigkeit. Das Ineinandergleiten dieser Motive erzeugt ungewohnte Verhältnisse von Eigenem und Fremdem, Einzelfall und universalem Problem. Es sucht Auswege aus einem Denken in Gegensatzpaaren und provoziert die Auseinandersetzung mit den Mechanismen der Selbstverortung. Das Venedig-Projekt Netzhammers versucht auf diese Weise, wirkungsmächtige Problemlagen in Bildfragen zu überführen und mit bildsprachlichen Mitteln Empfindungsdimensionen zu erschliessen, über die sich das Selbst für Fremdes öffnet. In Netzhammers abwägend-suchender Herangehensweise erscheint «Welt» nicht als verfügbare Verhandlungsmasse, sondern als komplexes Gegenüber mit eigener Würde. Dieser Eindruck entsteht aus einem spezifischen Verhältnis von Form und Bewegung. Die in Netzhammers Zeichnungen angedeuteten Abläufe und in den Videofilmen ausgeführten gestischen Bewegungen erzeugen ein präzises Gefühl für Körperhaftigkeit. Mit dem Bilderlebnis überträgt sich die Empfindung für ein der Möglichkeit nach vorhandenes Material, eine erweiterte Sensibilität für dessen Bedeutsamkeit. Indem Netzhammers Werke die paradoxe «Möglichkeit eines unmöglichen Berührens» empfinden lassen, schärfen sie die Sicht auf die Phänomene der materiellen Welt und respektieren sie gleichzeitig als unfassliche – als solche, die nie erschöpfend erfahren oder beschrieben werden können. Diese Erweiterung und Erhaltung einer Vielfalt von Weltphänomenen realisiert der Künstler durch den genauen Umgang mit der Eigenwilligkeit der Zeichenmaterialität, in den nuancierten Formfindungen, mit denen seine Bildarbeiten die Empfindungsdimensionen für die Welt entfalten. «Figuration» und «Form» meinen in Netzhammers Schaffen somit die genaue Markierung und Wertschätzung von Wahrnehmungen – von Wahrnehmungen unbegreiflicher und fremder Umstände, denen das Versprechen zustehen soll, im Rahmen unserer Kultur einen Platz zu erhalten, um deren Grenze mit zu beeinflussen.
Tim Zulauf
Yves Netzhammer
The subjectivisation of repetition,
project A
Soundtrack: Bernd Schurer
Venice Bienniale, 2007, Swiss Pavillon
Narrative level and picture realm
For the Swiss Pavilion at the Venice Biennale, Yves Netzhammer has designed a room installation in which drawing, architecture, video projection and soundtracks all interact. He has extended the south-eastern part of the pavilion, erected by Bruno Giacometti in 1951, with an architectural/sculptural intervention that shifts the relationship between inside and outside. A steep plane rises from the rear edge of the sculpture room, covers the garden area and towers over the garden wall, stretching out towards the adjoining «Viale Harald Szeemann». In the garden area this plane forms a roof, on the underside of which Netzhammer has stencilled huge images. The painted ceiling, into which four video projectors are inserted, is partially visible outside the pavilion. In the interior of the sculpture room the plane forms a mezzanine floor that is reached by two wedge-shaped ramps. It has an incline of 18 degrees which sharpens the awareness of one’s own body within an enclosed space. A floor painting takes up the motif of the ceiling painting in the garden area and the subject matter of the video film that is projected on the wall pursues the newly created spatial situation. A 14-channel soundtrack, performed by the musician Bernd Schurer, literally pervades the visual ensemble since it is laid out across the room. The inserted «narrative level» structures the pavilion by generating a reading experience in space. With its dynamic line drawings and stippling via sight and sound attractors, it multiplies the experience of space and time and articulates a sophisticated relationship between picture, movement and narrative. The possibility of an impossible touch With his contribution to the Venice Biennale, Yves Netzhammer makes reference to the context of a show based on the achievements of specific nations. The architectural placement of an inclined plane to both penetrate and open up the pavilion takes its cue from the wish to invest the visual idiom with a potential that cannot unfold where there are national and international boundaries. In his pictorial works and films for Venice, Netzhammer pits stereotypes of «the alien» against unconventional, new views of his own. «The alien» appears in the form of repressed, psychological subject matter, unseen body innards, shadow bodies, different skin colours and signs of cultural otherness. The coalescence of these motifs creates unusual relationships of self and alien, individual case and universal problem, in an effort to overcome reduction to opposing dualities and provoke discussion of the mechanisms of self-localisation. Netzhammer’s Venice project attempts to translate concerns of great impact into a visual idiom, thereby enlisting the emotional potential of pictorial means to allow the self to become receptive to the alien. In Netzhammer’s gauging/searching approach, the «world» does not appear as an available, negotiable mass, but as a complex other with a dignity of its own. This impression arises from the specific relationship between form and movement. The processes intimated in Netzhammer’s drawings and the gestures that appear in his video films generate a very specific impression of physicality. The picture experience transmits a sense of possible materiality, a heightened sensitivity to its significance. Insofar as Netzhammer’s works allow the paradoxical «possibility of an impossible touch» to be experienced, they also sharpen the senses to the phenomena of the material world whilst respecting their incomprehensibility – wonders that can never be understood or described in their entirety. The artist implements this extension and conservation of a multiplicity of world phenomena through precise handling of recalcitrant signs and through subtle composition that informs his pictures with a sensitivity to the world. «Figuration» and «form» in Netzhammer’s oeuvre mean the exact demarcation and appreciation of impressions – impressions of incomprehensible and alien circumstances – that should be promised a place in our culture to help influence its boundaries.
Tim Zulauf